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Ernst Cassirer und die Bronzenymphe der symbolischen Formen

mit Mehl gefüllter Quetschballon etc; Foto

Jede elementare Ausdrucksbewegung bildet in der Tat insofern eine erste Grenzscheide der geistigen Entwicklung, als sie noch völlig in der Unmittelbarkeit des sinnlichen Lebens steht und doch andererseits über diese bereits hinausgeht. Sie schließt in sich, daß der sinnliche Trieb, statt direkt gegen sein Objekt vorzudringen und sich in ihm zu befriedigen und zu verlieren, eine Art Hemmung und Rückwendung erfährt, in der nun eine neue Bewußtheit eben dieses Triebes erwacht. In diesem Sinne bereitet gerade die Reaktion, die in der Ausdrucksbewegung enthalten ist, eine höhere geistige Stufe der Aktion vor. Das Eigentliche vollzieht sich allerdings nur deutlich für den Kenner: wie zwei sich bewegen oder beobachten, am Lauern, am Ansprechen. Oben in der Wirklichkeit sind alles nur Ausländer, die sich sonnen. Alles elegante Gentlemans, die baden und höflich sind und die Formen der Welt respektieren, im Kopf ein Nichts an Hirn, im Bauch Hunger und Trieb. Unter dieser Oberfläche geschieht das eigentliche Techtelmechtel: Indem die Aktion sich gleichsam aus der unmittelbaren Form des Wirkens zurückzieht, gewinnt sie damit für sich selbst einen neuen Spielraum und eine neue Freiheit; steht sie damit bereits an dem Übergang vom bloß „Pragmatischen” zum „Theoretischen”, von dem physischen zum ideellen Tun. Man fährt auf solchen Gedanken wie auf Äroplanen durch den Ozean von Rausch und Erregung. Ein ungemeines Potpourri von Erlesenheit der Speise ist zu den Kompotten geschichtet. Wer nach Blutstromwanderung, nach Sehnsuchtsfjorden aus ist, hat hier die wundervolle Yacht. Auf welcher Regatta es sei, führt der Liebhaber die palästinensische Göttin, großhüftig und braun, am Fock. Auf der einen Seite stehen die hinweisenden, auf der anderen die nachahmenden Gebärden als Klassen, die sich inhaltlich und ihrer psychologischen Genese nach deutlich gegeneinander abgrenzen lassen. Hierbei wird die hinweisende Gebärde biologisch und entwicklungsgeschichtlich aus der Greifbewegung abgeleitet. Und dieser scheinbar so einfache Schritt zur Verselbständigung bildet nun eine der wichtigsten Etappen auf dem Wege von der tierischen zur spezifisch-menschlichen Entwicklung. Denn kein Tier schreitet zu der charakteristischen Umbildung der Greifbewegung in die hinweisende Gebärde fort. Das „Greifen in die Ferne”, wie man das Deuten mit der Hand genannt hat, ist auch bei den höchstentwickelten Tieren über erste und unvollkommene Ansätze nicht hinausgelangt. Schon diese entwicklungsgeschichtliche Tatsache weist darauf hin, daß in diesem „Greifen in die Ferne” ein Zug von typischer, allgemein-geistiger Bedeutung verborgen liegt. Es ist einer der ersten Schritte, durch den das empfindende und begehrende Ich den vorgestellten und begehrten Inhalt von sich selbst entfernt und ihn sich damit erst zum „Gegenstand”, zum „objektiven” Inhalt gestaltet. Auf der primitiven Stufe des Affekts und des Triebes ist alles „Erfassen” des Gegenstandes nur sein unmittelbares sinnliches Ergreifen und In-Besitz-Nehmen. Das fremde Sein soll in die Gewalt des eigenen gebracht, — soll rein materiell und seiner Stofflichkeit nach in den Kreis des Ich hineingezogen werden. Selbst die ersten Anfänge der sinnlichen Erkenntnis stehen noch ganz in diesem Zeichen: Welches ist die Welt, die eigentlich mich explodierende, aufschwingende: draußen das? Hier? Ist draußen das ein Phantom, was ich liebe zum Verrücktsein, die Brust der Alpen, an denen selbst die Schweine gut wurden, das Hochkar, das gleich machte, das Menschliche aufschälte wie eine Orange, Lawinen, dressierte Sturmflocken, die Mutterbrüste der Schneehimmel, an denen wir hingen, an ihrem fahlen Zinnglanz schmatzend, saufend, mit vollen Mäulern? Ist das nichts, nicht ein Winterinhalt, ein Leben? Verzuckt es hinter dem Glas? Hält nicht stand dem Leben hier drinnen, dem wilden Geruch aus dem Jahrhundert, der Gebärde schrankenlos aufsteigenden Daseins, verwirrenden Gobelinsprüchen, Waffen, dem Bauch des Michelangelos Tritonen? Wird es schon Blase. Zerplatzt, abgenutzt, blaß, ein Nichts? Blähung, die mir ins Gesicht fährt? Spiegelung, die mein Blut betrog. War mein Leben umsonst?

Da dreht Kerstin ihre Hüfte in die bebende Sekunde mit einer Bewegung der Achsel, wie, mit Kristianiaschwung brausend, sie gestern bremste, als neben mir, in Hosen die schönste Statue, sie in den flamingonen Abend mit mir vom Gletscher schoß. Aller Fortschritt des Begriffs und der reinen „Theorie” aber besteht eben darin, diese erste sinnliche Unmittelbarkeit fortschreitend zu überwinden. Das Objekt, der Gegenstand der Erkenntnis, rückt mehr und mehr in die Ferne, so daß es für die kritische Besinnung des Wissens auf sich selbst zuletzt geradezu als der „unendlich-ferne Punkt”, als unendliche Aufgabe des Wissens erscheinen kann; aber zugleich nimmt es in dieser scheinbaren Entfernung erst seine wahrhafte ideale Bestimmtheit an. Im logischen Begriff, im Urteil und Schluß entwickelt sich jenes mittelbare Erfassen, das den eigentlichen Charakter der „Vernunft” ausmacht. So scheint genetisch und sachlich in der Tat ein stetiger Übergang vom „Greifen” zum „Begreifen” zu führen. Das sinnlich-physische Greifen ist eine Hure für junge Leute und bereit für die zwischen Zwanzig und Dreißig den Traum einer Taille zu bestätigen. Uga!— aber in diesem letzteren liegt bereits der erste Ansatz zu den höheren Bedeutungsfunktionen, wie sie in der Sprache und im Denken hervortreten. Um die äußerste Spannweite dieses Gegensatzes auszumessen, könnte man sagen, daß dem sinnlichen Extrem des bloßen „Weisens” das logische des „Beweisens” gegenübersteht . . . . . . worauf mit leichter Bewegung, den Schwamm hoch auf dem Nacken ausdrückend, Harri freundlich über die Schulter frug, in wessen fabelhafter Tat und Kühnheit sich diese Lebensfasson am kräftigsten offenbare. Da geschah das Unvorhergesehene, daß in das tiefe Schweigen beim raschen Niederbücken dem Diener ein bestürzender Knall entfuhr.

Fußnoten