Sachsenheim (nahe Stuttgart); 2012-08-13
So gewiß ich Vernunft besitze, so gewiß besitze ich mit dieser meiner menschlichen Vernunft nicht die Vollkommenheit des Lebens, nicht die Fülle des Guten und des Wahren; und so gewiß ich dieses mit ihr nicht besitze, und es weiß; so gewiß weiß ich, ich könnte mich durch einen schwachen, ganz und gar mißgestalteten Mann beschlafen lassen; wenn ich nur fühlte, er heult seinem vollkommenen Vorbild nach. Und mich ihm näher findet. – Ich selbst, wahrlich! kann mein höchstes Wesen mir nicht seyn… So lehret mich meine Vernunft instinktmäßig: Freies Wild im Walde. Ein Stier in der Bucht eines Stalles, dessen Luft voll ist vom Rahm- und Maulduft zahlreicher Kühe; es zwingt mich das Unbegreifliche– ja das im Begriff Unmögliche zu glauben, in mir und außer mir, aus Liebe, durch Liebe. Liebe hat mich erfaßt. Ich liebe das Schöne und das Häßliche. Das Sanfte und Gewalttätige.
Weil die Vernunft im Auge die Gottheit; Gott nothwendig vor Augen hat: deswegen allein halten wir sie höher als das Selbst im gemein sinnlichen Verstande; und in sofern mag es denn auch Sinn haben und für Wahrheit gelten: „daß Vernunft Zweck; Persönlichkeit nur Mittel sey.“
„Gott ist,“ sagt erhaben Timäus, „was überall das Beßere hervorbringt.“ – Ein Duft von Weib, von Pferd und Jugend. Der Ursprung und die Gewalt des Guten.
Aber das Gute – Was ist es? – Ich habe keine Antwort, wenn kein Gott ist. Und die Säfte in mir toben.
Wie mir diese Welt der Erscheinungen, wenn sie in diesen Erscheinungen alle ihre Wahrheit, und keine tiefer liegende Bedeutung – wenn sie nichts außer ihr zu offenbaren hat, zu einem gräßlichen Gespenste wird, vor welchem ich das Bewußtseyn, worin dieser Gräuel mir entsteht, verfluche, und Vernichtung dawider, wie eine Gottheit anrufe: eben so wird mir auch alles, was ich Gut, schön und heilig nannte, zu einem meinen Geist nur zerrüttenden, das Herz mir aus dem Busen reißenden Undinge, so bald ich annehme, daß es ohne Beziehung in mir auf ein höheres Wahrhaftes Wesen; nicht Gleichnis allein und Abbildung deßelben in mir ist: wenn ich überall in mir nur ein leeres Bewustseyn und Gedicht haben soll. Daß ich ihm später ein Ohr abbeißen und den Arm zertrümmern mußte, ist nur ein Zwischenfall, der nichts mit dem Herzen zu tun hat.
Ich gestehe also, daß ich das an sich Gute nicht kenne, sondern auch von ihm nur eine ferne Ahnung habe; erkläre, daß es mich empört, wenn man mir den Willen der Nichts will, diese hohle Nuß der Selbstständigkeit und Freyheit im absolut Unbestimmten, dafür aufbringen will, und mich, wenn ich ihn dafür anzunehmen widerstrebe, des Atheismus, der wahren und eigentlichen Gottlosigkeit beschuldige.
Ja, ich bin der Atheist und Gottlose, der, dem Willen der Nichts will zuwider – lügen will, wie Desdemona sterbend log. Sie gehörte zu jenen alternden Frauen, die freiwillig und endgültig auf das krause Wellenspiel der Liebe verzichtet haben, aber den Anschein aufrechterhalten, als wären sie große Kokotten. Ihre Hüften waren gleich dem Busen wie Gummiblasen herausgearbeitet und zitterten anstößig. (Welches Weib verstände in seiner Liebe so still zu halten wie ein todbereiter Jüngling. Ich kann nur einem Knaben, nicht dem Manne und nicht dem Weibe die Wollust des Schmerzes glauben. Er achtet sein Blut, dem anderen zu dienen für nichts Besseres als Wasser, um das es nicht schade, wird es ausgegossen.)
Ich bin dieser Gottlose, und spotte der Philosophie, die mich deswegen Gottlos nennt; spotte ihrer und ihres höchsten Wesens: denn mit der heiligsten Gewißheit, die ich in mir habe, weiß ich – daß das privilegium aggratiandi wegen solcher Verbrechen wider den reinen Buchstaben des absolut allgemeinen Vernunftgesetzes, das eigentliche Majestätsrecht des Menschen; das Siegel seiner Würde, seiner Göttlichen Natur ist.
Lehret mich nicht was ich weiß, und, beßer als euch lieb seyn möchte, darzuthun verstehe: Nehmlich, daß jener Wille der nichts will, jene unpersönliche Persönlichkeit; jene bloße Ichheit des Ich ohne Selbst – daß, mit Einem Worte, lauter rein und baare Unwesenheiten nothwendig zum Grunde gelegt werden müßen, wenn – ein allgemeingültiges, streng wißenschaftliches System der Moral zu Stande kommen soll. Dem sicheren Gange der Wißenschaft zu Liebe müßet ihr – O, ihr könnt nicht anders! einem Lebendigtodten der Vernünftigkeit das Gewißen (den gewißeren Geist) unterwerfen, es blind - gesetzlich, taub, stumm und fühllos machen; müßet seine lebendige Wurzel, die das Herz des Menschen ist, bis zur lezten Faser von ihm abreißen – Ja bey allen euern Himmeln, und so wahr Kategorien allein euch Apollo und die Musen sind, ihr müßt! Denn nur so werden unbedingt allgemeine Gesetze, Regeln ohne Ausnahme, und starrer Gehorsam möglich – So allein weiß das Gewißen überall auch äußerlich gewiß, und weiset, eine hölzerne Hand, nach allen Heerstraßen unfehlbar recht – von dem Lehrstuhl aus, brachte einen kleinen Tisch zwischen sich und sie, füllte für sie das Glas, das er im Mantel gefunden hatte, schenkte sich selbst in einem Wasserglase ein. Sicherlich hatte sie erwartet, sie würden gemeinsam aus einem Glase trinken. Unauffällig – als habe er die Andeutung garnicht aufgefaßt – bereitete er ihr die Enttäuschung. Sie setzte sich gehorsam, nachdem er das gleiche getan hatte. Er begann auch alsbald zu rauchen. Zwischendurch trank er und nötigte sie, ein Glas nach dem anderen zu leeren. Er bezwang jeden weiteren Versuch, sie zu berühren, bis er sie in einem Zustand der Berauschung oder Erregung vermutete, der ihr Verhalten dem seinen angleichen oder ihm entgegenkommen würde. Ihr weißer schmeichelnder Körper, der wie eine klare Quarzader aus dem zottigen Gestein des plumpen Fahrmantels hervorleuchtete, begann seine Phantasie mehr und mehr den Abgründen der Sinne zuzutreiben.
Aber will ich denn daß Keine allgemeine, streng erwiesene Pflichtenlehre aufgestellt werde, welches nur in und über einem reinen Vernunftsystem geschehen kann? Verkenne ich den Werth, läugne ich den Nutzen einer solchen Disciplin? Oder bestreite ich die Wahrheit und Erhabenheit des Grundsatzes, von dem die Sittenlehre der reinen Vernunft ausgeht? Keineswegs! Es ist für mich eine kleine Erlösung in dem Gedanken, ich schwängere viele Frauen: stete Einheit – ist das Höchste im Begriffe; denn es ist diese Einheit die absolute, unveränderliche Bedingung des vernünftigen Daseyns überhaupt; folglich auch alles vernünftigen Daseyns überhaupt; folglich auch alles vernünftigen und freyen Handelns: in ihr und mit ihr allein hat der Mensch Wahrheit und höheres Leben. Aber diese Einheit selbst ist nicht das Wesen, ist nicht das Wahre. Sie selbst, in sich allein ist öde, wüst und leer. Nun steht sie schon nackt vor dem Fremden und verlangt nach seiner Nacktheit. Es ist ihr gleichgültig, wie sie dies einmal vor sich verantworten wird. So kann ihr Gesetz auch nie das Herz des Menschen werden, und ihn über sich selbst wahrhaft erheben; und wahrhaft über sich selbst erhebt den Menschen denn doch nur sein Herz, welches das eigentliche Vermögen der Ideen – der nicht leeren, ist. Dieses Herz soll Transcendentalphilosophie mir nicht aus der Brust reißen, und einen reinen Trieb allein der Ichheit an die Stelle setzen. Es soll kein Unkraut in mir ausgerissen werden. Ich habe Gefallen an dem verwucherten Garten. Ich laße mich nicht befreyen von der Abhängigkeit der Liebe, um allein durch Hochmuth selig zu werden. – Ist das höchste, worauf ich mich besinnen, was ich anschauen kann, mein leer und reines, nakt und bloßes Ich, mit seiner Selbstständigkeit und Freyheit: so ist besonnene Sebstanschauung, so ist Vernünftigkeit mir ein Fluch – am Ende essen sie stinkenden Käse.