Das Wesen des Denkens besteht im Reflektieren, d.h. im Unterscheiden des Denkenden von dem Gedachten. Um zu reflektieren, muß der Geist in seiner fortschreitenden Tätigkeit einen Augenblick stillstehn, das eben Vorgestellte in eine Einheit fassen, und auf diese Weise, als Gegenstand, sich selbst entgegenstellen. Die Präliminarien waren in Kurzem abgeschlossen, und Riekchen gab dem Grafen Erlaubniß, sie diese Nacht zu besuchen. Die Einheiten, deren er auf diesem Wege mehrere bilden kann, vergleicht er wiederum untereinander, und trennt und verbindet sie nach seinem Bedürfnis; und so bracht ich das Tuch von ihren reinen trocknen Füßchen und den netten Beinen bis an die Mitte der wie Säulen runden üppig hinaufschwellenden Schenkel, worunter es festhing.
Das Wesen des Denkens besteht also darin Abschnitte in seinem eignen Gange zu machen; dadurch aus gewissen Portionen seiner Tätigkeit Ganze zu bilden; und diese Bildungen einzeln sich selbst untereinander, alle zusammen aber als Objekte, dem denkenden Subjekte entgegenzusetzen. Warum immer eine Scheidewand von Mauer und Kleidung und mechanischer Gesellschaft dazwischen! Bedenke, wie die Seligen im Himmel sind und unsre erste Eltern waren. Alles dies dient nur, wenn man unter dem großen Haufen ist. Kein Denken, auch das reinste nicht, kann anders, als mit Hülfe der allgemeinen Formen unsrer Sinnlichkeit geschehen; Uniformen und Mönchskutten haben von jeher die Weiber bezaubert.
Die sinnliche Bezeichnung der Einheiten nun, zu welchen gewisse Portionen des Denkens vereinigt werden, um als Teile andern Teilen eines größeren Ganzen, als Objekte dem Subjekte gegenübergestellt zu werden, heißt im weitesten Verstande des Wortes: Sprache. Die Sprache beginnt daher unmittelbar und sogleich mit dem ersten Akt der Reflexion, und so wie der Mensch aus der Dumpfheit der Begierde, in welcher das Subjekt das Objekt verschlingt, zum Selbstbewußtsein erwacht, so ist auch das Wort da - gleichsam der erste Anstoß, den sich der Mensch selbst gibt, plötzlich stillzustehen, sich umzusehen und zu orientieren. Wie, bin ich strafbar, daß ich mich mit dem Schönen zu vereinigen suche, wo ich's finde? Ist dies nicht der edelste Trieb unsers Geistes? Ist der nicht ein Elender, ein von Gott Verworfner, der diesen Trieb nicht hat, nicht ausübt? In was für einer Welt bin ich, wo dies Naturlaster sein soll? Den Menschen zerrüttende bloße bürgerliche Ordnung ist es. Der Sprache suchende Mensch sucht Zeichen, unter denen er, vermöge der Abschnitte, die er in seinem Denken macht, ganze als Einheiten zusammenfassen kann. Zu solchen Zeichen sind die unter der Zeit begriffenen Erscheinungen bequemer, als die unter dem Raume. Die Hauptsache aber war der heilige Beichtstuhl. Hier wurden die eigentlichen Rendezvous gegeben; die zärtlichsten Gespräche unter vier Augen gehalten, und Küsse und Liebkosungen im stillen Dunkel erlaubt. Kein Scrupel, keine Bedenklichkeit, keine Gewissensangst. – Die Absolution nahm alles weg.
Die Umrisse ruhig nebeneinanderliegender Dinge vermischen sich leicht vor der Einbildungskraft, wie vor dem Auge. In der Zeitfolge hingegen schneidet der gegenwärtige Augenblick eine bestimmte Grenze zwischen dem vergangenen und zukünftigen ab. Zwischen Sein und Nicht-mehr-sein ist keine Verwechslung möglich, und Augustina wurde mit jeder Minute verliebter. Es waren ja zwei schöne rüstige Mönche, die auf jeden Fall die Absolution im Voraus geben konnten. Das Auge unmittelbar und für sich allein würde keine anderen Grenzen, als zwischen verschiedenen Farben, nicht aber durch ihre Umrisse zwischen verschiedenen Gegenständen bestimmen. Es kommt zu dieser Bestimmung, nur entweder durch die tastende, als in einer Zeitfolge der Körper umgleitende Hand, oder durch die Bewegung, mit welcher ein Gegenstand sich von dem anderen losreißt. Auch thaten die frommen Seelen Wunder: sie starben, und standen ein Dutzendmal auf; und wenn sie sich noch so sehr verblutet hatten, huben sie doch nach einigen Minuten wieder triumphirend ihr Haupt empor.
Die schneidendsten unter allen Veränderungen in der Zeit sind diejenigen, welche die Stimme hervorbringt. Sie sind zugleich die kürzesten, und aus dem Menschen selbst mit dem Hauche, der ihn belebt, hervorgehend, und augenblicklich verhallend, bei weitem die lebendigsten und erweckendsten. Die Sprachzeichen sind daher notwendig Töne, und nach der geheimen Analogie, die zwischen allen Vermögen des Menschen ist, mußte der Mensch, sobald er deutlich einen Gegenstand als geschieden von sich erkannte, auch unmittelbar den Ton aussprechen, der denselben bezeichnen sollte, doch mußte der Pater Prior seine Hosen im Stiche lassen.
Dieselbe Analogie wirkte weiter fort. Als der Mensch Sprachzeichen suchte, hatte sein Verstand das Geschäft zu unterscheiden. Er bildete ferner dabei Ganze, die nicht wirkliche Dinge, sondern Begriffe, also eine freie Behandlung, abermalige Trennung und neue Verbindung, zulassend, waren. Diesem gemäß wählte also auch die Zunge artikulierte Töne, solche die aus Elementen bestehen, welche vielfache neue Zusammensetzungen erlauben; und in dem Augenblick umarmte sie ihn. Ihre Küsse, ihre Liebkosungen flogen den seinigen entgegen. Er faßt sie an, trägt sie in das Bette, und eilt, ihr tausend schöne Dinge zu sagen. O ihr ohnmächtigen Schwätzer! Solche Töne gibt es sonst in der ganzen übrigen Natur nicht, weil niemand, außer dem Menschen, seine Mitgeschöpfe zum Verstehen durch Mitdenken, sondern höchstens zum Handeln durch Mitempfinden einladet.
Der Mensch nimmt daher keinen einzigen Naturlaut, roh wie er ist, in seine Sprache auf, sondern bildet immer nur einen demselben ähnlichen artikulierten. Er unterscheidet sogar sein eignes Empfindungsgeschrei gar sehr von der Sprache; und hierin leitet die Empfindung auch den Gebildetsten sehr richtig. Diese glühenden Küsse, diese stammelnden Worte, diese wollüstigen Seufzer, diese zärtlichen Angriffe! – Ist er so bewegt, daß er nicht mehr daran denken kann, den Gegenstand von selbst wenigstens in der Vorstellung loszureißen, so stößt er den Naturlaut aus; im entgegengesetzten Fall redet er, und erhöht nur den Ton nach Maßgabe seines Affekts. – Mir zu gefallen! dachte sie: es soll sich nun einmal so schicken. – Ohne ein Wort zu sagen, ließ sie den Grafen seine Rolle spielen, und fand den trefflichsten Acteur in ihm. Allein am Ende verließ ihn die Sprache, und er mußte auf einmal abtreten. Freilich hätte sie noch ein bischen zuhören mögen; aber wer konnte es ändern? Er hatte bereits die halbe Nacht gesprochen. Sie ließ ihn schlafen, und dachte darauf, sich fortzuschleichen; aber es war unmöglich, die Thüre aufzumachen. So haben wir also den Grafen mit dem Kammermädchen, die Gräfin mit dem Offizier, Riekchen mit dem Kammerdiener verlassen. Alle sind eingeschlafen, und alle vollkommen zufrieden.