Es handelt sich hier um ein sehr befremdendes, sehr langes, schmales Bild von Lenin und Gorki. Jeder hat es schon einmal gesehen – nur kein Star besteht vor den Augen eines Mode-Magazin-Art-Direktors. Da können sich Beleuchter, Visagisten und Stylisten noch so anstrengen. Tatsache ist, das Bild wurde aus einem Gruppenfoto, das ursprünglich Delegierte des Zweiten Weltkongresses der Kommunistischen Internationale zeigte, ausgeschnitten und retuschiert. Vorher: Augenränder, verkrampfte Füße, hervorstehendes Schlüsselbein, zu wenig Lidschatten, braune statt rote Lippen, graue Zähne, Dekolleté nicht weit genug geöffnet und zu dunkel, störende Schatten auf der Liege. Wenn die Menschen in Moskau das ganze Originalfoto mit 25 Leuten sehen, werfen sie mir irritiert Blicke zu; sie fragen sich: wäre es denkbar, mehrköpfige Menschen durch eine Stadt fliegen zu lassen, ohne aufwendig spezielles Fotomaterial für Magazine wie Swimsuit, Braids, Black Woman oder SSX erstellen zu müssen? Auch makellose Stars wie Halle Berry erscheinen in einem ganz anderen Licht.
„Vier Besucher der Ausstellung sprachen mich an und lobten mich für meine Retuschierarbeit.“
„Ein Beispiel für letzteres ist der erstmals 1934 erschienene Bildband Zehn Jahre Usbekistan, den der sowjetische Künstler Alexander Rodtschenko gestaltet hatte. King fand Anfang der achtziger Jahre in Rodtschenkos Atelier, wo seine Familie nach wie vor wohnte, dessen eigenes Exemplar, das auf absurde Weise verunstaltet war. Die Köpfe jener usbekischen Funktionäre, die 1937 liquidiert worden waren, hatte der Künstler mit schwarzer Tusche übermalt. Das Resultat ist grauenerregend, wie ein unfreiwilliges Mahnmal für die Opfer.“ (zur Ausstellung „Stalins Retuschen“)