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Bogenlichter mit Ambitionen von Glühwürmern in Sommernächten

Heusenstamm; 2009-07-04

Haariger Oberschenkel im Zebraschatten; Foto

Wir aber gehen durch die Praterstrasse in der Hauptstadt. 8 Uhr Abends. Wie lauter zugrunde gehende Kaufläden an beiden Seiten. Pfirsiche neben Matjeshäringen. Korbwaaren. Seebadhüte. Schwarze Rettige. Bicycles blinken überall. Als ob die Luft, wie in Parfümfabriken das Fett mit Veilchenduft, sich vollgesogen hätte mit Gerüchen von Erdäpfelsalat, Theer zwischen Granitpflaster, und mille-fleur de l'homme épuisé! Bogenlichter mit Ambitionen von Glühwürmern in Sommernächten machen die Sache nicht besser. An's Licht gebrachtes Sommerelend! Lass' es im Dunkeln, bitte, in schweigenden Schatten! Bogenlichter aber schreien: »Da sehet!« Sie kreischen die Dinge des Lebens, plaudern Alles aus mit ihrem weissen Lichte!

Auf der verstaubten Bretterbühne, unter der einzigen elektrischen Bogenlampe, die Kulitänzerin, umgeben von ihren vier Musikanten. Sie mußte schon eine lange Stunde getanzt haben. Der Tanz war eben bei der Szene der Entschleierung angekommen. Sie tanzte bereits mit nackten Brüsten und trug nur noch den letzten blaugrauen schmutzigen Schleierlappen um die schmalen Schenkel. Nackt bis an das Becken, reckte sie sich im Tanzwirbel, wie ein Zweig im Sturm. Die Sonne versank hinter ihr in schweren Dunst wie in einen Trichter. Säulen von Staub hoben sich lautlos überall zwischen den Gräbern auf und sanken in sich zusammen wie die Säcke. Ein Windstoß fuhr dahin; er riß das letzte Wort des Gebets von den Lippen der Färberin. Sie stand jäh auf; ihr Aufspringen war wie eines Tieres, in dessen Gebärde kein Gedächtnis wohnt von der letztverstrichenen Sekunde. Ihr Gesicht glich sich selber nicht mehr; sie war schöner als je; ihr Haar hatte sich gelöst und flog um sie. »Was siehst du mich so an?« rief sie der Amme zu, die mit Entzücken auf sie sah. »Jetzt habe ich ein Joch abgeworfen und mich ausgedreht aus einem alten Gesetz!« Sie ging schnell den Abhang hinauf; die Amme lief hinter ihr drein. »Es muß nicht beim Wasser, es kann auch beim Feuer geschehen, nicht wahr?« rief die Junge ihr über die Schulter zu, »so war deine Rede, meine Lehrerin! die habe ich mir zu Herzen genommen.« Der Wind kam den dreien nach und riß an ihren Gewändern; er wirbelte den Staub auf. Es war dunkel mitten am Tag, als wollte es augenblicklich Nacht werden. Vögel hasteten zwischen den Häusern hin, Menschen liefen in einem braunroten Dunst an ihnen vorbei, von oben legte sich Finsternis auf alles. Als sie an die Brücke kamen, fing die Färberin mit eins an, langsamer zu gehen. Sie blieb stehen, tat wieder ein paar Schritte. Sie taumelte, als hätte sie einen Schlag empfangen, und fuhr mit der einen Hand zu ihrem Kopf, gegen das Ohr hin. Sie sprang mehrmals gleich einem Ball vom Boden auf, und aus ihrer Kehle fuhr dann Schrei um Schrei. Die weißgekleideten Ladies und die weißgekleideten Gentlemen, die nach dem Lunch in den Schaukelstühlen auf den prächtigen Steinaltanen lagen und ihren Kaffee und Whiskysoda dort tranken, bogen sich aus dem Schatten der Steingewölbe über die hellen Geländer und zeigten Walai ihre blassen, müden Tropengesichter, die schlaff waren wie ausgepreßte Zitronen. — Das rote Tuch hatte die Farbe von blutigem Fleisch und flatterte wie bluttriefend vor dem überhitzten, silbergrauen Tropenhimmel.

Der Schatten der Färberin