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Hier und dort dunkelgelbe Reflexe, dazu Bratkartoffeln

Sachsenheim (nahe Stuttgart); 2011-12-20

Kartoffel-Action in Mutterns Küche; Foto

Wie kann man nur ein Verhältnis haben, das Selma heißt? Der Name tut weh. Ihr selber auch. Er riecht so entsetzlich nach wollener Unterwäsche und ungelüfteter Stube, die zugleich Küche, Wohnstube und Werkstätte ist, wo Mutter die Bratkartoffeln brät, als wäre der Spiegel mit einer Legion von kleinen, braungrünen Schildkrötenrücken gepolstert. Als der Tisch gedeckt und zu den Bratkartoffeln ein Extra von zwei Setzeiern aufgetragen war, war auch die Tochter mit dem Zurechtmachen des Zimmers fertig. Einförmig und unförmlich lagen die Häusermassen da. Selten klebte sich in der Gegend der oberen Stockwerke ein magerer Lichtschein an die Riesentafeln. Die Gasflammen hüpften nervös in ihren Glaskäfigen hin und her. Es hatte geregnet. Ueber das Pflaster hin lagen hier und dort dunkelgelbe Reflexe gestreut. Oefter leuchtete verschwommen-schmutzig ein Stück einer angebrochen-verkümmerten Iris auf. Und gefällt mir ein Bild oder Klang, steige ich auf der nächstgelegenen Station aus und suche nach diesem Fleck, der mir gefiel, in seiner traumlosen, vielleicht verlorenen Dämmerung, die niemand empfinden kann als ich, der ihm verwandte. Dieses Suchen spannt köstlich, reizt, erregt. Man weiß ja nie, ob man den Platz findet, wie man sich seiner erinnert. Inzwischen kann die Luftspiegelung anders geworden sein … oder das Fenster an jenem Haus, wo ein Kind oder ein Mädchen oder eine Mutter heraussah, hat sich geschlossen … oder der Veteran mit seinem Stelzbein, seinem verbogenen Grammophon und den schmutzigen Ordensbändern läßt längst in einem anderen Hofe sein knirschendes Instrument und seine kreischende Stimme erschallen. Ich suche gern nach zwecklosen Erinnerungen. Und ist uns denn ein anderes Glück gegeben, als Worte und Bilder zu sammeln? Dazwischen Selma.

Neben dem Stehspiegel mit dem Riß in der Mitte